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Interview mit Reinhard Lüschow, Autor des Buches „In guten wie in schlechten Tagen“

Ein herzliches Dankeschön an Reinhard Lüschow für seine Zeit und die Bereitschaft unsere Fragen so offen zu beantworten. Das Buch „In guten wie in schlechten Tagen“ ist eine eine bewegende Dokumentation der Geschichte einer Liebe mit allen Höhen und Tiefen und Herausforderungen, die sie im Wandel der Zeit mit sich bringt.

Ihr Buch trägt den Titel „In guten wie in schlechten Tagen“. Was waren die prägendsten „guten“ und „schlechten“ Momente Ihrer Beziehung mit Heinz-Friedrich Harre?

Auch wenn es blöd klingt: Rückwirkend betrachtet war alles für irgendetwas gut. Auch bzw. gerade in „Stressmomenten“ konnten wir voneinander lernen und füreinander da sein. Prägende Momente waren mit Sicherheit unser großer Krach Ende 1991, als es um die Frage ging, ob unsere Beziehung überhaupt noch eine Chance für die Zukunft haben würde. Der Sommer 1997, als ich neben ihm stand und wir gemeinsam seinen Vater beerdigten. Man sagt ja, dass eine Frau erwachsen wird, wenn sie ihr erstes Kind bekommt, und ein Mann, wenn er seinen Vater beerdigt. In dieser Phase durfte ich ihn begleiten und ihm nah sein. Umgekehrt dann genauso 2003, als mein Vater starb. Auf alle Fälle gehört dazu auch der Moment, als wir im Standesamt saßen und „Ja“ zueinander gesagt haben. Beide Momente, sowohl bei der Verpartnerung als auch bei der Eheschließung. Das waren einfach nur „unsere“ Momente.

Wie haben Sie sich kennengelernt, und was war Ihr erster Eindruck voneinander?

Ich war an dem Abend mit einem Freund in die (schwule) Vulkan-Sauna gefahren und cruiste durch die Gänge. Heinz arbeitete dort, hatte an dem Abend im Rahmen einer Geburtstagsfeier schon ziemlich viel getrunken und sich eine kurze Auszeit genommen, um wieder etwas klarer im Kopf zu werden. Wir liefen uns über den Weg, fanden uns wohl beide aus den Augenwinkeln heraus „nett“ oder zumindest „interessant“, und dann baggerte er mich an. Innerhalb weniger Minuten landeten wir in einer Kabine, hatten erst Sex miteinander, und dann haben wir angefangen, miteinander zu reden und uns kennenzulernen. Dieses „Kennenlernen“ zog sich dann die nächsten 30 Jahre hin.

Welche Hürden mussten Sie als gleichgeschlechtliches Paar in den verschiedenen Jahrzehnten Ihrer Partnerschaft überwinden?

Wir mussten darum kämpfen, überhaupt als Paar wahrgenommen zu werden. Innerhalb der Szene war das kein großes Problem, aber die heterosexuelle Außenwelt stellte sich gerne blind – weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Öffentlich-Rechtlich hatten wir anfänglich ja auch keine Möglichkeiten, unsere Beziehung zu „legalisieren“ bzw. ihr in irgendeiner Form einen Rechtsstatus zu geben. Wir mussten immer wieder klar machen, dass wir Menschen mit Wünschen und Bedürfnissen sind, die aufgrund ihrer sexuellen Präferenzen anders behandelt bzw. – aus unserer Sicht – schlechter gestellt werden als andere (heterosexuelle) Bürger*innen und Paare. 

Wie haben Sie die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber homosexuellen Partnerschaften im Laufe der Jahre erlebt?

In unserem unmittelbaren Umfeld hatten die meisten Menschen keine Probleme damit bzw. konnten das, sofern überhaupt vorhanden, gut verbergen. Auch sonst sind wir nicht „bepöbelt“ oder angegriffen worden. Tatsächlich wurde es im Laufe der Jahre immer einfacher, auch nach Außen hin eine Partnerschaft zu leben. Spätestens mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz kam dann die staatliche Anerkennung, und das war bei vielen Menschen der Moment, in dem sie sich sagten „Wenn das für den Staat in Ordnung ist, dann ist es für mich auch in Ordnung.“ Darüber hinaus denke ich, dass es den meisten Menschen schlicht und ergreifend egal ist, ob bzw. wie ein gleichgeschlechtliches Paar zusammenlebt. Wenn sie dazu befragt werden, geben sie eine Meinung kund, aber ansonsten: „Solange sie mir persönlich nichts tun und mir nichts wegnehmen – lass sie leben. Ich mische mich nicht in deren Sachen ein, solange sie sich auch nicht in meine einmischen.“ Und damit kann ich gut leben.

Sie haben Heinz-Friedrich schließlich geheiratet. Was bedeutete Ihnen die Möglichkeit der Eheschließung nach Jahren der Partnerschaft?

In dem Moment war es unfassbar, dass das wirklich passiert. Dass wir es geschafft haben und jetzt vor der Standesbeamtin unsere Beziehung „legalisieren“ durften. Es ging uns zu dem Zeitpunkt gut, aber das war der Sahneklecks, für den wir so lange gekämpft hatten.

Wie haben Sie die politischen und rechtlichen Debatten um die „Ehe für alle“ verfolgt? Hatten Sie das Gefühl, dass die Gesellschaft bereit dafür war?

Ja. Wir haben die Diskussionen mitbekommen und zum Teil auch selbst geführt / führen müssen. Argumente wie „Die können doch keine Kinder bekommen“ verschwanden langsam im Hintergrund. Die „öffentliche Meinung“ hat sich in den Jahren stark verändert. 

Gab es Momente, in denen Sie an eine offizielle Anerkennung Ihrer Beziehung zweifelten?

Nicht daran, dass das irgendwann kommen würde. Ich war nur manchmal verzweifelt, dass es so lange dauerte. Dass die konservativen Kräfte incl. der Kirchen so einen langen Atem hatten. Manchmal hatte ich das Gefühl, als ob selbst der Vatikan noch vor Deutschland die „Ehe für alle“ einführen würde. 

Haben Sie sich selbst als „Aktivisten“ für LGBTQ+-Rechte gesehen, oder war Ihre Beziehung eher ein privates Statement?

Beides. Unsere Beziehung war rein privat. Wir waren zusammen, weil wir zusammen sein wollten. Und wir kämpften für die Ehe für alle, weil wir keine Menschen zweiter Klasse waren, denen weniger Rechte als anderen zugebilligt werden sollten/durften. Insoweit waren wir schon Aktivisten.

Was würden Sie jungen queeren Paaren mit auf den Weg geben, die heute in einer ähnlichen Situation sind wie Sie damals?

„Drum prüfe, wer sich ewig bindet…“. Quatsch. Seid mutig, seid stark. Kämpft für das, was euch wichtig ist. Habt keine Angst vor der Liebe und vor euren Gefühlen. Redet. Mit den anderen, aber auch (bzw. gerade) mit euren Partner*innen. Bleibt sichtbar, aber achtet die gesetzlichen Grenzen. Anarchie ist keine Lösung. 

Wie haben Familie, Freunde und Kollegen auf Ihre Beziehung reagiert? Gab es auch negative Erfahrungen?

Die meisten positiv. Einige waren ehrlich genug, zuzugeben, dass das einfach nicht ihr Thema und ihre „Baustelle“ war. Einige haben auch hinter unserem Rücken über uns geredet. Das passiert. Meine persönlich negativste Erfahrung war die Art, wie mein Vater mit mir bzw. dem Thema umgegangen ist. Das hat mich verletzt, und ich habe bedauert, dass es so lange gedauert hat, bis er Frieden mit dem Thema schließen konnte. 

Warum haben Sie sich entschieden, Ihre Geschichte öffentlich zu teilen?

Das war nicht meine Idee. Ich hatte schon während meiner Berufstätigkeit dienstlich mit diesem Verlag zusammengearbeitet und mich mit der dortigen Chefin angefreundet. Nachdem die dienstliche Zusammenarbeit mit meinem Ruhestand beendet worden war, hatten wir trotzdem noch weiter privaten Kontakt. Und dann kam sie auf mich zu mit der Idee für einen neuen Zweig in dem Verlagsbaum. Eine Buchreihe über Menschen. Und dass sie sich gut vorstellen könnte, in diesem Zweig auch die Geschichte von mir und Heinz zu veröffentlichen. Erst war ich nicht sonderlich begeistert, aber dann dachte ich: Warum eigentlich nicht? Ich kann es ja mal versuchen, die Geschichte aufzuschreiben, und letztendlich ist das dann das vorliegende Buch geworden. 

Was erhoffen Sie sich von den Leserinnen und Lesern Ihres Buches?

Interesse an dem, was damals geschehen ist. An der Geschichte zweier Menschen, die sich getroffen und ineinander verliebt haben. Die sich 30 Jahre durch gute und schlechte Zeiten hindurch begleitet haben. 

Wie war der Schreibprozess für Sie – emotional betrachtet? Gab es Passagen, die besonders schwer oder besonders schön zu verfassen waren?

Ja. Insgesamt ist schon eine Menge Herzblut in dieses Buch geflossen. Ich hatte an mich selbst den Anspruch, dass ich nur Dinge schreibe, die wirklich geschehen sind, und auch so, wie sie geschehen sind. Das hatte oft schon mit vertiefter „Arbeit“ und Recherchen zu tun. Manchmal hatte ich auch den Gedanken: „Willst Du, dass Deine Mutter das liest?“, und in dieser Überlegung ist manches Geschehnis nicht auf dem Papier gelandet. Beim Schreiben und auch heute noch beim Lesen gibt es Stellen, an denen mir immer noch die Tränen kommen. Die Geschehnisse im Standesamt. Die Krankheit von Heinz und meine Hilflosigkeit. Sein Tod und die Beerdigung. Aber es war gedanklich eine schöne Reise in die Vergangenheit, auch wenn sie, wenn ich, manchmal dabei traurig war. 

Wenn Heinz-Friedrich heute noch leben würde: Was würden Sie ihm gerne sagen?

Alter – ich glaube, wir können stolz sein auf das, was wir mit den anderen zusammen geschafft haben. Wir haben unser Ziel erreicht. Und ich bin froh und dankbar, dass ich das mit Dir zusammen machen konnte.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der LGBTQ+-Community in Deutschland?

Macht weiter so! Legt weiter die Finger in die Wunden! Setzt euch für eine rechtliche Gleichbehandlung ein, sowohl in Deutschland als auch im Rest der Welt! Jeder Schritt in die richtige Richtung hilft, egal, wie klein er ist. Seid sichtbar und präsent! Und redet! Miteinander, und auch mit anderen! Wir sind Menschen wie alle anderen auch, und wir nehmen niemanden etwas weg, indem wir sind, was und wie wir sind. Seid tapfer und stolz! Und habt keine Angst vor der Liebe!

Herzlichen Dank für das Interview!